05. Dezember 2022 von Helmut Köllner
Prachtbauten der Seidenstrasse, heilige Sufis und wilde Berglandschaften
Schon bei der Ankunft in der Altstadt von Chiwa könnte man glauben, in einer Zeitmaschine gereist zu sein: Die imposante Stadtmauer mit ihren Bastionen, mittelalterliche Moscheen, prachtvoll verzierte Medresen und Minarette fügen sich zu einem orientalischen Ensemble ohne Strassenverkehr, in dem die Zeit scheinbar stillgestanden ist.
Seit dem 16. Jh. war Chiwa die Hauptstadt von Choresmien. Eine zum Museum umfunktionierte Koranschule erinnert an die glanzvolle Vergangenheit der 2500 Jahre alten Oasenstadt und schlägt gleichzeitig eine Brücke in die Gegenwart: Erlebte Chiwa unter den Abbasiden das Goldene Zeitalter des Islam, schufen ihre Gelehrten vor rund 1000 Jahren so manche Grundlage für die moderne Wissenschaft. So etwa der Mathematiker Al-Chwarizmi, aus dessen Nachnamen – „aus Choresmien“ – sich der Begriff des Algorithmus ableitet.
Auf einem Ausflug zu rund 2000 Jahre alten Ruinen stossen wir auf die Geschichte der Kuschanas: ein indoeuropäisches Reitervolk, zu dessen Zeit das heute in der ganzen Welt so vertraute Buddha-Bildnis entstand, nachdem er zuvor nur durch Symbole repräsentiert dargestellt wurde.
Buchara – die Edle
Entlang der Grenze zu Turkmenistan fahren wir hunderte Kilometer durch die Wüste nach Buchara, ein wahrer Traum aus 1001 Nacht. Von unserem zentral gelegenen Boutique Hotel aus lässt sich die Altstadt mühelos zu Fuss erkunden. Im Schatten von 300 Jahre alten Maulbeerbäumen haben sich Restaurants und Teestuben angesiedelt, im Wasser spiegeln sich die Fassaden prachtvoll verzierter, monumentaler Fassaden. Hier beginnt der alte Basar, in dem heute Souvenirhändler und Handwerker ihr Geschäft betreiben: Silberschmuck, Gewürze und Kräutertees, es werden Miniaturen gemalt, rasierklingenscharfe Messer geschmiedet und die berühmten Buchara-Teppiche geknüpft.
Einst erhielt Buchara als Zentrum der Gelehrsamkeit und Spiritualität den Beinamen Scharif, „Die Edle“. Die Gräber sieben grosser Sufimeister bilden noch heute einen beliebten Pilgerweg. Ein Besuch der grosszügigen Naqshbandi-Grabanlage zeigt uns die Spiritualität eines gelebten Islams, der damals wie heute in dieser Form gerade in Zentralasien viele Anhänger anzieht.
Baden in der Wüste – Wandern in den Bergen
Abwechslung ist angesagt: Umgeben von Sanddünen übernachten wir in einem Jurtencamp. Nur wenige Kilometer entfernt liegt der Aydarkol, mehr als achtmal so gross wie der Bodensee. Am Sandstrand laden einfache Holzliegen mit Sonnendach ein. Am Abend lauschen wir am Lagerfeuer unter dem Sternenhimmel den Klängen der Wüstennomaden.
Karg zeigen sich die nahegelegenen Nuratau-Berge, doch im engen Flusstal liegen die schattigen Gärten der Bergbewohner mit Walnuss-, Aprikosen- und Pistazienbäumen. Eine einfache Wanderung führt zu 4000 Jahre alten, hervorragend erhaltenen Petroglyphen. In unserem einfachen Ökotourismus-Gästehaus probieren wir das Nationalgericht „Plov“ aus Zwiebeln, Fleisch, Reis und kandierten gelben Rüben. Dazu ein Wodka samt Trinkspruch. Alkohol findet sich auf fast allen usbekischen Speisekarten. Schon die Sufis dichteten wunderbare Trinkverse als Metaphern ihrer Gottesliebe!
Samarkand – Die Prachtvolle
Eine Steigerung ist möglich: Nirgendwo in der Welt findet der imposante Registan-Platz eine Entsprechung: Drei wahrhaft monumentale und zugleich mit feinster Majolika-Keramik verzierte Grossbauten umrahmen diesen einzigartigen Platz – besonders funkelnd erstrahlt er in der abendlichen Beleuchtung. Die einst von Timur Lenk erbaute, eindrückliche Bibi Khanum ist derweil die grösste Moschee Zentralasiens, deren geschmückte Kuppeln jeden Betrachter verzaubern.
Alexander der Grosse hat Samarkand zweimal erobern müssen. Auf ihn folgten wieder die Sogdier, welche als gewiefte Händler massgeblich den Handel bestimmten. Im Afrosiab-Museum belegen alte Wandmalereien aus vorislamischer Zeit die Handelskontakte dieses Volkes nach China und Indien. In einer traditionellen Papierfabrik erfahren wir, wie bereits im 8. Jahrhundert – von chinesischen Kriegsgefangenen erlernt – aus Maulbeerbaumrinde handgeschöpftes Papier hergestellt wurde.
Unterhaltsam gestaltet sich auch eine Modenschau bei Modedesignerin Valentina Romanenko: In einer modernen Ali Baba-Höhle werden traditionelle usbekische Textilien neu interpretiert. Und der Vater unseres usbekischen Reiseleiters begrüsst uns freundlichst, wo wir nebst erweiterter Grossfamilie auch so manche Nachbarn kennenlernen.
In die Hissar Berge
Über die Serafschan-Berge erreichen wir Shahrisabz, die Geburtsstadt Timurs, die er zu seiner Lebzeit prachtvoll ausbauen liess. Hier im westlichen Ausläufer des Pamirgebirges erinnert die Landschaft schon ein wenig an Afghanistan. Hinter einer tiefen Schlucht liegt das Bergdorf Langar Ota, in das sich im 15. Jahrhundert der Sufiheilige Muhammad Sadyk zurückgezogen hatte. Sein Grabmal umgibt bis heute eine besonders friedliche Stimmung. Eine Wanderung entlang der wilden Flusslandschaft in die immer enger werdende Tatar-Schlucht ist atemberaubend.
Taschkent – die sowjetisch geprägte Hauptstadt des unabhängigen Usbekistan
Zum Schluss ein Blick in die neuere Geschichte Usbekistans. Nach dem Angriff Hitlers auf die Sowjetunion im Jahr 1941 verlagerte Stalin die Produktion kriegswichtiger Industrien in die bereits russisch geprägte Hauptstadt Zentralasiens. Es folgten Typenbauten – teils interessant mit orientalischer Fassadengestaltung –, Arbeitskräfte aus dem europäischen Teil der UdSSR und die einzige Metro Zentralasiens mit ihren prachtvollen Stationen.
Nach der Unabhängigkeit setzte eine Abkehr vom sowjetischen Stil ein. Besonders offensichtlich ist dies an dem im Herzen der Stadt gelegenen Amir Timur-Platz, dessen wechselhafte Geschichte bis in das Jahr 1870 zurückgeht. Einst Lenin gewidmet, vermittelt heute das historische Museum einen grossartigen Überblick über die Jahrtausende alte Landesgeschichte. Vom riesigen Chorsu-Basar nehmen wir noch letzte Düfte und Eindrücke mit, bevor wir die Heimreise antreten.