Erlebnisberichte

REKO: Annäherung an Neufundland II

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15. Dezember 2016 von Kurt Schaad

GROSSE FISCHE IN DER EISBERGGASSE

Bruce ist ein Fischer und Fischen ist so etwas wie der Nationalstolz vieler Neufundländer. Im Herzen dürfte Bruce etwa ähnlich gelagert sein wie ein Jäger aus dem Bündnerland. Ich war mit ihm draussen auf dem Meer, die Angelruten lagen bereit und Bruce manövrierte sein Boot an einer bestimmten Stelle hin und her, mehrmals die Küstenlinie fixierend.

Plötzlich riss er den Gashebel in den Leerlauf, schrie „now“, wir packten die Ruten, an denen schon die Köder hingen, warfen die Leinen ins Wasser – und keine Minute später hatte jeder schon einen Kabeljau an der Angel. Wir waren zu dritt und nach 20 Minuten lagen 15 Fische in der Box. Mehr war nicht erlaubt.

Mit industriellen Fangmethoden hatte die Fischereiindustrie die Küstengewässer in den 80er Jahren innert kürzester Zeit so leergefischt, dass die Kabeljaubestände förmlich zusammenbrachen. 1992 zog die kanadische Regierung die Notbremse und verhängte ein allgemeines Fangverbot. In der Folge verloren 35’000 Menschen in Neufundland auf einen Schlag die Arbeit. Viele waren gezwungen, auf dem Festland einen Job zu suchen, auf den Ölfeldern von Alberta oder beim Hochhausbau in Toronto.

Andere sind geblieben. So wie Bruce. Er fährt jetzt Touristen aufs Meer, nicht um Fische zu fangen, sondern sie zu beobachten. Wale zum Beispiel, auch wenn das genau genommen keine Fische sind. Seine Frau führt Joe’s Pub, wo mal immer wieder bei der einen oder anderen Kitchen Party die Post abgeht. So haben einige Neufundländer sich neu orientiert und sind ins Tourismusgeschäft eingestiegen. Oder haben ein Hotel aufgetan, im Zentrum des Gros Morne-Nationalparks – wie Bettina und Herbert, die hier eine neue Heimat gefunden haben. In ihrem Boutique Hotel muss man lange im Voraus reservieren, was, unter anderem, auch an der ausserordentlichen Qualität der Küche liegt. Den arktischen Zander kann ich besonders empfehlen.

NEUFUNDLAND AUF DEM TELLER

Überhaupt ist das kulinarische Angebot auf der Insel äusserst bemerkenswert. Natürlich gibt es die obligaten Fish and Chips oder die allzeit erhältliche dicke Meergetier-Suppe, die Clam Chowder. Aber so wie in Neufundland habe ich sie noch nie gegessen: Stücke von Kabeljau, Jakobsmuscheln, Crevetten, Muscheln und Schneekrabben in einer leichten cremigen Bouillon, abgeschmeckt mit Pernod, Kräutern und einem Schuss Zitronensaft. Einfach göttlich.

Oder die prallen, saftigen Moules, gedämpft in einem leichten Sud von zitronigem Eisbergbier mit Lauch, Knoblauch und einem Hauch Chili. Ja, Eisbergbier. Keine Erfindung eines Marketingspezialisten. Die Wasserqualität hält dem deutschen Reinheitsgebot für Bier problemlos stand, denn das Wasser stammt tatsächlich von geschmolzenen Eisbergen.

STILLE, KLARHEIT, VERTRÄUMTHEIT UND EISSCHOLLEN

Die schwimmen jeden Frühsommer den Neufundländern an der Haustüre vorbei. Das pittoreske Fischerdorf Twillingate ist ein idealer Ausgangspunkt, um vom Boot aus die weissen schwimmenden Riesen auf ihrer Fahrt von der Arktis in südliche Gefilde zu beobachten. Und sich dabei an den Untergang der Titanic zu erinnern. Eisberge sind ein untrügliches Zeichen dafür, dass man in Neufundland auch im Sommer nicht mit tropischen  Temperaturen rechnen kann. Wer es lieber warm hat und Palmen bevorzugt, der sollte auf den Spuren von Columbus bleiben und in die Karibik gehen. Wer hingegen auch gerne mal eine Regenjacke trägt und an raschen Wetterwechseln Freude hat, der wird sich im östlichsten Teil Kanadas sichtlich wohl fühlen.

 

Dort wo der kalte Labrador- und der warme Golfstrom aufeinander treffen, entstehen schnelle Wechsel aus Nebel, Regen und Sonnenschein. Die Farbe des Meeres pendelt zwischen hellem, tanzendem blau und abweisendem, drohendem grau. Dörfer mit ihren pastellfarbenen Häusern verschwinden im Nebel wie von Zauberhand, während vom Leuchtturm das grummelnde Röhren des Nebelhorns über die Hügel und Felsen streicht. Es ist eine spektakuläre Landschaft auf eine gespenstisch jenseitige Art, unverfälscht und unverdorben. Man fühlt sich etwas verloren in der Zeit, als ob sie hier etwas stehen geblieben ist. Ein nostalgisches Gefühl macht sich breit. Wer der Abhängigkeit von Computern und Smartphones entfliehen will, dürfte sich in der rauen Schönheit der Natur bald zu Hause fühlen.

Nicht viel ist für Touristen zurechtgemacht. Wer die Authentizität dieser unwirklichen Landschaft mit dem besonderen Gefühl von Einsamkeit speziell geniessen will, der findet sich auf der kleinen Insel Quirpon wieder, ganz an der Nordspitze von Neufundland. Dort, wo in der sogenannten Eisberggasse die Einfamilienhaus grossen kalten Eisbrocken besonders eindrücklich vorbeiziehen, umringt von Walen, Robben und unzähligen Vögeln. Übernachten kann man im ehemaligen Leuchtturmwärterhaus und das geniessen, was uns in unserer unruhig lärmigen Zeit abhanden gekommen ist: eine stressfreie Stille. Bevor man sich dann aber in sich selber verliert, lockt auf dem Festland die nächste Kitchen Party. Wie schon gesagt: Die Neufundländer sind kein Volk von Traurigkeit.

 

MEHR SEHEN, ANDERS ERLEBEN – NEUFUNDLAND

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