Erlebnisberichte

REKO: Argentinien-Route für SI-Leserreise mit Kurt Schaad

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05. Juni 2013 von Kathrin Böhni

NATUR IN EXTREMIS UND SCHOGGISÜCHTIGE NASENBÄREN

Ewiges Eis, tropischer Regenwald und staubtrockene Steinlandschaften – alles in nur 3 Wochen zu erleben! Was unglaublich tönt, ist in Argentinien wirklich umsetzbar.

Wir sitzen im Flugzeug, draussen herrscht dunkle Nacht. Wir können nur erahnen, dass sich im Dunkeln unter uns eines der bedeutendsten Naturspektakel befindet: die Iguazu-Wasserfälle. Noch vor wenigen Stunden waren wir im trockenen Nordwesten Argentiniens unterwegs. Salta – La Linda, die Schöne, hiess dort unsere letzte Station. Das Rathaus, die Kirche San Francisco oder auch die Kathedrale von Salta – sie gehören zu den schönsten Bauwerken des Landes. Schon nach kurzer Zeit war uns die Stadt ans Herz gewachsen. Bei einem Cappuccino auf dem Hauptplatz liessen wir unseren Blick über die eindrücklichen Fassaden der umliegenden Häuser schweifen.


Geld muss beim Bau vorhanden gewesen sein, kein Zweifel. Auch heute sparen die Argentinier keine Mühe und keine finanziellen Mittel, um ihre wertvollsten Gebäude im alten Glanz erstrahlen zu lassen. Sogar am Sonntagmittag – wir geniessen einen weiteren Cappuccino – sehen wir fleissige Hände, die mit grosser Hingabe die abblätternden Fassaden übermalen. Ich habe keine Ahnung vom Malen, doch dass man zuerst die bröckelnde Schicht entfernen sollte, bevor man sie mit neuer Farbe überstreicht, davon habe sogar ich schon gehört. Aber die Maler hier scheinen anderer Meinung zu sein. Und so sieht man immer wieder, wie innerhalb von wenigen Stunden ein vorher eher fahl wirkendes Gemäuer plötzlich in frischem Kleid erscheint. Abends tritt das Verschönerungskommando nochmals in Aktion, dann werden viele Gebäude mit Scheinwerfern in wunderschönes Licht getaucht. “Woher kommen die finanziellen Mittel?“, frage ich mich, wenn wir abends durch die idyllisch inszenierte Altstadt flanieren. Gerade noch vor ein paar Tagen, am 18. April 2013, haben sich fast 2 Millionen Bürger in einem landesweiten Protest namens 18A gegen die Kirchner-Regierung gewehrt, die sie ihrer Meinung nach in ein immer grösseres Chaos stürzt. Mit Töpfen und Pfannen zogen sie durch die argentinischen Grossstädte und protestierten auch gegen die wachsende Korruption und die Inflation, die derzeit etwa 25% beträgt… Die steigenden Preise sind auch für Touristen klar zu erkennen, so sieht man doch nur selten eine Speisekarte mit „alten Preisen“. Viel öfter sind Speisekarten mit vielen neu angebrachten Aufklebern zu finden, sodass die steigenden Preise problemlos an den Kunden weitergegeben werden können. Aber auch das kann unsere Begeisterung für Argentinien nicht trüben. Viel eher spornt es uns dazu an, mit Einheimischen diese Thematik zu besprechen. Was meinen sie zu den Protesten und zur regierenden Kirchner-Familie? Spannende Gespräche entstehen und sie ermöglichen uns einen Einblick in die stolze Südamerikaner-Seele.


Mit den unterschiedlichsten Aussagen zur Lage der Nation reisen wir von Salta weiter, u.a. in die Quebrada de Humahuaca, auch Schlucht der Farben genannt. Der Name ist selbsterklärend, das merkt man spätestens nach ein paar Minuten Fahrt …  Unten saftig-grüne Felder die auch zum Kartoffel- und Mais-Anbau genutzt werden, rundherum die rot-orange-braune Schlucht. Seit 2003 gehört die Region völlig zu Recht zum Unesco-Weltkulturerbe. Farben soweit das Auge reicht. Das Farbenschauspiel bestaunen wir unter anderem auch am Cerro de los Siete Colores. Ich bin sicher, mehr Farbschattierungen als nur sieben gesehen zu haben in diesem begeisternden Tal. Der Fotoapparat erhält kaum eine ruhige Minute … Wir spazieren durch die Hügellandschaft und geniessen die wohltuende Wärme auf unserer Haut. Das gelingt uns umso besser, wenn wir an die Schweiz denken, wo unsere Bekannten derzeit schlotternd den Regen ausstehen. Unglaublich trocken ist es hier, nur an wenigen Tagen im Jahr fällt Niederschlag. Seen beschränken sich hier auf Salzseen, anstatt Lianen säumen hier Kandelaberkakteen unseren Weg und Guanakos sind hier definitiv häufiger anzutreffen als Krokodile …


Die trockene, warme Luft und die karge Landschaft haben wir nun hinter uns gelassen – Iguazu ist jetzt angesagt. Schon beim Aussteigen aus dem Flugzeug weht uns buchstäblich ein anderer Wind um die Nase – feucht-warm fühlt er sich an, „tüppig“ würden wir zuhause sagen. Umso erfrischender der Sprung ins kühle Nass im hoteleigenen Pool, der hier zur Grundausstattung gehört.  Am nächsten Morgen ist es dann soweit: Die Iguazu-Fälle warten auf uns – und noch auf ein paar andere Touristen … Waren wir doch bisher im kargen Norden eher alleine unterwegs, merkt man hier rasch, dass sich Globetrotter aus allen Ecken der Welt sich dieses Naturspektakel nicht entgehen lassen wollen. „Viel berauschender kann sich Mutter Erde wohl nicht zeigen“, denk ich mir, als wir nach einer kleinen Zugfahrt und einem Spaziergang über lange Stege endlich die tosende Pracht erblicken. Hören kann man sie auch! Derzeit steht das Wasser eher hoch und so stürzen sich, verteilt auf 200 grössere und kleinere Fälle, die Wassermassen über 70m in die Tiefe. Zu Fuss sind wir stundenlang unterwegs, um dieses Schauspiel aus ganz verschiedenen Winkeln zu begutachten. Wasser ist Wasser, könnte man denken, aber von diesem Spektakel kriegen wir nicht so schnell genug. Auch spezielle Tierarten kreuzen unser Blickfeld. Die Nasenbären scheinen wie ich schoggisüchtig zu sein; in Ruhe mein Knoppers essen kann ich jedenfalls vergessen.


Nach einem unglaublichen Tag im „Grünen Nordosten“ müssen wir zurück in die Kälte. Nicht wie die meisten Argentinien-Reisenden weiter ins faszinierende Patagonien, sondern zurück in die kalte Schweiz. Anstatt glitzernder Gletscher, knuddligen Seehunden und dem legendären Kap Hoorn warten nun der Flughafen Kloten und bald ein Spaziergang im Allschwiler Wald auf uns. Aber zumindest in Gedanken werden wir sicherlich noch etwas länger im warmen Argentinien unterwegs sein, denn so viele Eindrücke lassen sich nur schwierig in wenigen Tagen verarbeiten.