Erlebnisberichte

UNTERWEGS: Transsib 2013 Teil I

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02. August 2013 von Kurt Schaad

MAGISCHE MOMENTE AM BAIKALSEE

Der Sonderzug hat am Ufer des Baikalsees angehalten. Nicht, weil ein Signal auf Rot steht, nein, der Halt ist so geplant, damit die Gäste des Zuges im 12 Grad kalten Wasser ein Bad nehmen können. Nicht wenige wagen sich ins kalte Nass. Die Legende sagt, dass man beim Schwimmen im Baikalsee fünf Jahre jünger wird. Leider konnte die These nach dem Bad  nicht gleich bestätigt werden.



Die Fahrt entlang dem Baikalsee ist einer der Höhepunkte der Reise. Die Einheimischen sagen, der tiefste See der Welt sei die Seele Sibiriens. Seine mystische Ausstrahlung hat auch die Zugreisenden aus der Schweiz erfasst. Wer mit der normalen Transsib unterwegs ist, kommt nicht in den Genuss dieser magischen Landschaft. Durch den Bau eines Staudamms kann die ursprüngliche Strecke dem See entlang ist nicht mehr durchgehend befahrenen werden und ist jetzt ein langes Stumpengleis ohne Verkehr.  Deshalb kann sich hier der „Zarengold“, ohne Gegenverkehr, bewegen wie er will. An unserer besonderen Haltestelle werden gleich neben den Zugwaggons Schaschlikspiesse grilliert, Vodka macht die Runde, die Stimmung ist fröhlich und ausgelassen. Akkordeonmusik füllt die Luft mit der Hitparade russischer Volksweisen.


Auf der anderen Seite des Bahndamms steht das Dorf Nummer 110. Das heisst wohl so, weil sich hier der Bahnkilometer 110 befindet. Es sind nur ein paar Schritte vom Zug zu den typisch sibirischen Holzhäusern. Eine alte Frau steht vor ihrem Gartenzaun und bittet die Fremden aus dem fernen Europa, mit einer einladenden Geste, doch einen Blick in ihr Wohnzimmer zu werfen. Auch wenn man keine gemeinsame Sprache spricht, wärmt Ihr strahlendes Lachen die Herzen und schlägt sofort eine Brücke zwischen Menschen, die sich auch ohne Worte verstehen.



Entfernt man sich ein paar Schritte vom fröhlichen Treiben auf dem Bahndamm, um nochmals einen Blick auf das Dorf 110 zu werfen, glaubt man zuerst, vor einem Vexierbild zu stehen. Die bewaldeten Berge, die das Dorf umgeben, sieht man doppelt – seitenverkehrt. Bergspitzen und Himmel sind nicht nur oben, sondern auch unten. Ein kleiner, stiller See produziert ein gestochen scharfes Spiegelbild. Kein Windhauch, keine Ringe ziehenden Berührungen durch Fische oder Insekten trüben die Szenerie. Die Reinheit eines zu Ende gehenden Tages mit dem sich verfärbenden Himmel  erzeugt einen magischen Moment, den alle Betrachter still geniessen. Für solche Momente und ein strahlendes Lachen einer sibirischen Babuschka lohnt es sich, tausende von Kilometern zu reisen.