Erlebnisberichte

ARTIKEL: Der Iran aus der Touristenperspektive

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cotravel Reise Iran_Blog Michael Wrase_Hafes Mausoleum Shiraz

07. August 2014 von Michael Wrase

„STERBEN VOR VERLANGEN NACH UMARMUNG“

Die Rezeptionshalle des Abbasi Hotels in Isfahan ist aus weissem Carrara-Marmor. Die hohen Decken wurden mit Kacheln- und Spiegelmosaiken dekoriert. Springbrunnen und rote Rosenbüsche dominieren den Innenhof der Luxusherberge, in dem livrierte Kellner Tee in Silberkannen und kleine Mokkatörtchen servieren. Passend zum luxuriösen Ambiente ist auch die Hintergrundmusik: Shirley Bassey singt „Diamonds are forever“. Am Abend unterhält eine Band die Gäste, von denen die meisten Iraner sind. Sie zeigen sich gerne. Vor allem im spektakulären Abbasi.

ISFAHAN IM SOMMER 2014

Dutzende warten geduldig auf einen freien Tisch im Innenhof, an denen sich junge iranische Frauen lasziv an ihren weit nach hinten gerutschten Kopftüchern zupfen. Als zwei perfekt geschminkte Damen ihre Seidenverhüllung für einige Sekunden abnehmen, um demonstrativ lächelnd ihre Haarpracht zu präsentieren, stockt mir der Atem. Mein iranischer Tischnachbar bemerkt mein Erstaunen. „Das ist hier inzwischen an der Tagesordnung“, erklärt der Geschäftsmann grinsend. „Seit der Wahl von Hassan Rohani zum Staatspräsidenten ist alles entspannter, freundlicher“.

cotravel Reise Iran_Blog Michael Wrase_Frauen

Auch im Abbasi fordere die Obrigkeit die Frauen zu „strenger islamischer Verhüllung“ auf. Die „nervigen Lautsprecherdurchsagen“ würden aber meistens ignoriert. „35 Jahre nach der Revolution“, betont der Iraner zufrieden und nippt an seinem eisgekühlten Granatapfelsaft, „ist der Iran endlich ein normales Land geworden“. „Unser neuer Präsident hat begriffen, dass es sich ohne ständige Massregelungen leicht regiert“, glaubt auch die 23jährige Simin, die wir auf dem Meidan-e Imam treffen. Jenem einzigartigen Platz, den die Iraner als „die Hälfte der Welt“ bezeichnen.

cotravel Reise Iran_Blog Michael Wrase_Isfahan Meidan-e Imam Platz

Der rechteckige Platz, der einmal als Polospielfeld diente, ist das Zentrum des religiösen und weltlichen Lebens. Simin führt dort Touristen, die „in diesem Jahr wieder in Scharen kommen“. „Ein Tsunami ausländischer Touristen sei über das Land gekommen“, freut sich Tourismusdirektor Masoud Soltanifar. Einnahmen von fünf Milliarden Franken habe der Tourismus generiert. Unter den Besuchern sind inzwischen auch viele Amerikaner. Staunend laufen sie durch den Basar von Isfahan und freuen sich über die ausnahmslos herzlichen Reaktionen auf die obligatorische Frage nach ihrem Heimatland.

EIN NEUER WIND WEHT

Die USA sind nur noch in den Augen einiger Hardliner der „Erzfeind“. Seit mehr als einem Jahr sprechen der iranische Aussenminister Dschawad Scharif und sein amerikanischer Amtskollege John Kerry über eine Lösung des Atomstreits. Die im Juli geführten Verhandlungen, verkündeten die beiden Politiker zur Verblüffung der Journalisten, hätten in einer „Atmosphäre von Treu und Glauben“ stattgefunden.

Als wir am nächsten Morgen das Armenierviertel von Isfahan besuchen, läuten dort die Glocken der Vank-Kathedrale. Am Bau der Kirche arbeiteten christliche und muslimische Handwerker zusammen. Das Innere ist mit Bibelmotiven dekoriert, die für manche Geschmäcker etwas zu grell sind. Draussen erinnert ein Spruchbund an den von den Jungtürken verübten Massenmord an den Armeniern, die im Iran kulturelle und religiöse Autonomie geniessen. Auch die vier Synagogen von Isfahan werden regelmässig besucht. „Juden und Christen dürfen im Iran auch Wein trinken“, doziert Abdi, unserer Reiseführer, die uns 14 Tage lang begleitet hat.

cotravel Reise Iran_Blog Michael Wrase_armenische Vank Kathedrale Isfahan

Isfahan, erklärt er, gelte als eine sehr religiöse Stadt. Und er hatte Recht. 400 Kilometer weiter südöstlich, in Schiraz, erlebten wir die iranische Jugend noch unbekümmerter als in Isfahan. In der Drei-Millionen-Stadt, versichert uns der Busfahrer mit leuchtenden Augen, lebten die schönsten Mädchen des Iran. Und verstecken tun sie sich nicht. Eine Stunde vor Sonnenuntergang, wenn das Licht am schönsten ist, trifft man sich am Mausoleum des persischen Nationaldichters Hafes. Es befindet sich in einer wunderschönen Parkanlage.

Eine Studentin im roten Seidenkleid rezitiert pathetisch aus dem Diwan des Meisters: „Seh, ich sterbe vor Verlangen nach Umarmung und nach Kuss; sieh, ich sterbe vor Begierde nach des saft’gen Munds Genuss…” Die um den marmornen Sarkophag stehenden Iraner brechen daraufhin in Begeisterungsstürme aus. „Dieser Beifall“, flüstert wenig später ein älterer Herr im Massanzug, „ist auch eine politische Demonstration“. Viele Iraner betrachteten Hafes als einen Revolutionär und würden dies mit dem Vortragen seiner freizügigen, von Lebenslust geprägten Gedichte demonstrativ zum Ausdruck bringen.

MASHAD LÄSST STAUNEN

Die Besuche in Isfahan und Schiraz sind die Höhepunkte jeder Reise in den Iran. Begonnen hatten wir unsere Tournee in Mashad, wo sich das Mausoleum des achten schiitischen Imam Reza befindet. Mashad ist die Heiligste aller iranischen Städte, ein Wallfahrtsort, der jedes Jahr von über 20 Millionen Pilgern besucht wird. So viele Gläubige reisen nicht einmal nach Mekka. Ausländische Touristen, sofern sie nicht Muslime sind, dürfen nur die Höfe der Grabmoschee besuchen. Dies in Begleitung eines lokalen Guides, der uns durch die Heerscharen der Pilger lotst. Alle Frauen sind hier in einen schwarzen Tschador gehüllt, den sie von innen zusammenhalten, damit man ihre Hand nicht sieht. Die Besucherinnen aus der Schweiz erhalten einen weissen Umhang.

cotravel Reise Iran_Blog Michael Wrase_Imam Reza Mashad

Auch in den Höfen der Grabmoschee ist die Atmosphäre entspannt, keinesfalls verbissen. Als Christen unter tiefgläubigen Schiiten werden wir nicht als lästige Störenfriede wahrgenommen. Auch im heiligen Mashad lächeln die Iraner. Wir treffen Pilger aus Bahrain, Kuwait und dem Libanon. Sie freuen sich über unseren Besuch, fragen uns nach unseren weiteren Reiseplänen.

ZOROASTRISMUS HEUTE

Vier Tage später sind wir in Yazd. In der Wüstenstadt herrscht Aufbruchsstimmung. Im riesigen Basar beobachten wir Arbeiter beim Restaurieren der aus luftgetrockneten Ziegeln gebauten Häuser, die später mit einer Mischung aus Lehm und Dung verputzt werden. Als „Geheimtipp“ von Yazd gilt das traditionelle Moshir-Garden-Hotel, in dem auch wir übernachten. Durch die Hotelanlage fliessen mehrere Bewässerungskanäle, die die Iraner Qanate nennen. (Verheiratete?) Iranische Liebespaare und ausländische Touristen entspannen sich um einen von Bougainvilleas gesäumten Springbrunnen. In der angrenzenden Teestube wurden Holzliegen aufgestellt, die mit bunten Teppichen und bestickten Kissen bedeckt wurden. Bei schwarzem Tee vom kaspischen Meer, Datteln und Safrangebäck bereiten wir uns auf den Besuch der „Türme des Schweigens“ vor.

cotravel Reise Iran_Blog Michael Wrase_Zoroastrische Türme des Schweigens Yazd

Auf den festungsartigen Hügeln wurden bis Anfang der 70er Jahre die Toten der Zoroastrier bestattet. Die älteste persische Religionsgemeinschaft betrachtet die Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft als heilig. Aus der Pflicht, diese Elemente vor Verunreinigung zu schützen, habe man über Jahrhunderte die Toten den Geiern ausgesetzt, erklärt uns Farhang vom Rat der 15‘000 Mitglieder zählenden Zarathustrer-Gemeinde von Yazd. Nachdem die Geier das Fleisch von den Knochen nagten, hätten die Priester die Gebeine eingesammelt und mit Wachs versiegt. Heute gelte diese Art der Bestattung als unhygienisch. Um dem Gebot des Schutzes der Erde vor Verunreinigung trotzdem zu genügen, würden die Verstorbenen heute in Betonwannen beigesetzt, betont Farhang in fliessendem Englisch.

IRAN IST ANDERS

14 Tage sind für einen Iran-Besuch eine kurze Zeit. Die Eindrücke sind gewaltig. Ausnahmslos positiv. „Ich hatte ganz andere Vorstellungen“, gesteht mir ein Arzt aus Bern strahlend, als wir im Bus in Natanz eintreffen. In der Stadt befindet sich eine Uranaufbereitungsanlage. „Jetzt nicht fotografieren“, bittet unser Begleiter Abdi, „hier beginnt das militärische Sperrgebiet“ – das alles andere als martialisch wirkt: Die wenigen Strassensperren darf der Touristenbus ohne Kontrolle passieren. Und vor dem Eingangsportal zu der umstrittenen Aufbereitungsanlage winken die an einer Zwillingsflak postierten Revolutionsgardisten den vorbeifahrenden Touristen freundlich zu.

„Auch das hatte ich mir ganz anders vorgestellt“, kommentiert der Arzt aus Bern das Verteidigungsdispositiv. In einer Bäckerei am Strassenrand wird frisches Brot gekauft. Ob die Leute hier Angst vor Bombenangriffen haben, will eine Mitreisende vom Bäckermeister wissen. „Nein“, übersetzt Abdi. „Nach acht Jahren Krieg gegen Saddam Hussein (der 1988 endete) kann uns niemand mehr einschüchtern…“

cotravel Reise Iran_Blog Michael Wrase_Bäcker

Auf der Rückfahrt nach Teheran machen wir Station in den Fin-Gärten von Kashan, der wahrscheinlich schönsten Parkanlage im Iran. „Eine Symphonie in Grün“, schwärmt eine englische Touristin, durch die kleine Bäche plätschern. Junge Iranerinnen ziehen sich spontan ihre Sandalen aus, um ihre Füsse zu kühlen, was einem selbst ernannten Sittenwächter überhaupt nicht gefällt. Der Bärtige schimpft wie ein Rohrspatz. Und erntet mitleidiges Gelächter.

In Teheran ist unsere Reise zu Ende. Wir haben aber noch Zeit für eine Wanderung durch das nördlich der Hauptstadt liegende Elbrus-Gebirge. Dort begegnen wir Ali und Bahar. Die beiden Studenten sind unverheiratet. Seit zwei Jahren, erzählen sie bei einem Glas des nunmehr bekannten Granatapfelsafts, seien sie „ein Liebespaar“. Eine Heirat sei „aus finanziellen Gründen“ aber unmöglich. Um zu überleben, arbeitet Ali nach dem Studium als Taxifahrer und Kellner. Bahar fand eine schlecht bezahlte Stelle als „Aushilfsübersetzerin“.

Anderthalb Stunden begleiten wir Ali und Bahar. Je höher wir hinaufsteigen, desto gelöster wird die Stimmung. Bahar nimmt ihr Kopftuch ab und beginnt zu singen. Eine von schweren Rucksäcken bepackte Gruppe von Jugendlichen begrüsst uns mit einem freundlichen „Chaste Nabaschi“, was auf Deutsch übersetzt „werdet nicht müde“ heisst. Diese Müdigkeit, meint Ali, sei nur in den Bergen zu überwinden. Nur dort fühle er sich „richtig frei“. In einer Berghütte auf knapp 2500 Metern wird getrommelt. Ali und Bahar tanzen, lachen, halten einander fest.

 

MEHR SEHEN, ANDERS ERLEBEN – IRAN

Nächste cotravel Iran-Reisen: im November 2014 und Mai 2015, begleitet von Michael Wrase.
Weiterer Reisebericht aus dem Iran.
Fotomomente auf Facebook, eingefangene Stimmung im Imam Reza-Schrein auf Youtube.