01. März 2019 von Susann Bovay
¡CUBA!
Im November 2018 habe ich eine Reisegruppe nach Kuba begleitet. Das Land stand schon lange auf meiner Bucket List und ich war dementsprechend gespannt auf dieses Erlebnis. Zurückgekommen bin ich mit unzähligen Eindrücken, deren Einordnung nicht nur einfach war – mal abgesehen von der ansteckenden Lebensfreude der Inselbewohner – und die jetzt, im Januar 2019, immer noch stark nachhallen. Nach Kuba zu reisen ist eine eigentliche Lebenserfahrung: Either you love it or you hate it. Etwas dazwischen gibt’s nichts…
Die grösste Antilleninsel besitzt eine unvergleichliche Anziehungskraft, der man sich nur schwer entziehen kann: Sind wir hier in der Karibik? Ja, was die Farbe des Meeres im Süden und das Klima angeht. Oder in Südamerika? Ja, man spricht Spanisch, ernährt sich von Mais, Fleisch und Bohnen und schützt sich mit riesigen Sombreros gegen die stechende Sonne. Im Museum? Ja, es kommt vor, dass einem der Atem stockt aus lauter Vorsicht, etwas Einmaliges zu zerstören – sei es auch nur einen flüchtigen Eindruck. Definitiv ist man auf einer – auch im übertragenen Sinn – ringsum abgeschirmten Insel die nur per Flugzeug oder Kreuzfahrtschiff erreicht werden kann.
Wer nach Kuba reist, geht nicht einfach „in die Ferien“ – schon eher begibt er sich auf eine Abenteuerreise mit unvorhergesehenen oder ganz sicher ungeplanten Elementen. Beispielsweise soll es vorkommen, dass der reservierte und bestätigte Mietwagen nicht wie vereinbart am Aeropuerto Internacional José Martí in La Habana übernommen werden kann, sondern erst nach einigen Tagen Wartezeit verfügbar ist; (Fakt ist, dass bei dem riesigen Touristenansturm die Nachfrage oft schlicht das Angebot übersteigt.) Oder dass das schon vor Monaten gebuchte Hotel ohne Angabe von Gründen einen Tag vor dem Aufenthalt gewechselt wird. Wieso wissen die Götter, von denen es hier allerdings unzählige gibt.
Ganz einfach in der Zeit stehengeblieben
Die ersten Bilder auf der Fahrt ins Stadtzentrum brennen sich unauslöschlich ins Gedächtnis. Obwohl man schon tausend Bilder von Havanna gesehen hat, ist es doch etwas anderes, nun selber mitten drin zu sein und den alten Kolonialgebäuden mit ihrem morbiden Charme entlang zu fahren. Mit den unzähligen in allen Farben glänzenden Oldtimern fühlt man sich zurückversetzt in die Fünfziger-Jahre, wäre da nicht die Jugend mit Boombox und Rumflasche die sich unbekümmert entlang der Uferstrasse Malecón amüsiert.
Wir wohnen mitten in der Stadt, im Parque Central, von dessen Dachterrasse man sich nicht sattsehen kann an dem Durcheinander zu Füssen: neben einem gestylten Dachgarten mit stimmiger Beleuchtung gähnt eine leere Ruine und gleich anschliessend gackern zuoberst auf dem Haus Hühner zwischen irgendwelchen Kabeln und Bauschutt. Die Fassaden versprechen oft mehr als auf den zweiten, genaueren Blick zu sehen ist. Über allem leuchtet das blendendweisse Capitolio, eine Kopie des White House in Washington und effektiv minim grösser als dasselbe. Und am Horizont verschmilzt die Stadt mit dem Meer.
Eine Woche ist angesetzt um La Habana zu erkunden, doch diese Zeit ist im Nu vorbei und es gäbe noch so viel mehr zu entdecken. Zu jeder Tages- und Nachtzeit lässt sich problemlos durch die Gassen der Altstadt spazieren, vorbei an imposanten Jugendstilbauten und feudalen Palästen, dank Hemingway berühmten Hotels und Bars, verstellten Hinterhöfen, nüchternen Denkmälern und mittelalterlichen Kirchen bis zum Hafen, wo bröckelnde alte Lagerhallen in einen Touristenmarkt umfunktioniert wurden. Überall die Losungen der revolución und die Konterfeis von Fidel und Ché, die so offensichtlich nicht in unser Städtebild passen wollen. Ich fühle mich oft als Besucher einer fremden Galaxie.
Hasta siempre Comandante = bis in alle Ewigkeit
Der sozialistische Staat nimmt für sich in Anspruch, die Bevölkerung zu versorgen. Das traf nach der Revolution zu, und dafür werden die Anführer heute noch verehrt. Inzwischen haben sich die Voraussetzungen und Bedürfnisse aber stark verändert und was heute ‚oben’ beschlossen wird ist nicht unbedingt was ‚unten’ benötigt wird. Zudem hinterlässt die entfallene Unterstützung der UdSSR, der DDR und kürzlich nun Venezuelas eine unersetzliche Lücke. Die Planwirtschaft entspricht meist nicht den Bedürfnissen der Einwohner, denn wer will schon einen Plastikkübel wenn er eigentlich Kartoffeln bräuchte. Auf dem Land ist die Versorgung etwas einfacher, und die Gartenprodukte werden ab Eselskarren verkauft.
Die Kubaner arrangieren sich mit den Gegebenheiten, sind erfinderisch wenn für irgendetwas eine Alternative gefunden werden muss, und es gibt für alles eine Lösung. Nachdenklich liess mich der Mann zurück, der für eine Hilfeleistung nicht um Geld bat sondern um eine Portion Milchpulver für seinen kleinen Sohn. Die kostete mich 7CUC; ein durchschnittlicher Monatslohn beträgt 20CUC. Sehr gut nachvollziehbar, dass sich die Einwohner, mit zwar stirnrunzelnder Erlaubnis und unter kräftiger Steuerabschöpfung des Staats, mittels Betreiben eines Restaurants in den Privaträumen – Paladar – oder durch Vermieten von Zimmern – Casas particolares – einen Zusatzverdienst generieren. Die staatliche Kontrolle unterbindet Bestrebungen nach Selbständigkeit, die einen besseren Verdienst ermöglichen. Doch sind es genau solche Angebote, welche für uns Besucher interessant sind, wie zum Beispiel die Fahrt mit den herausgeputzten Privat-Cabriolets im Vergleich zu den staatlichen, zwar auch schönen aber geschlossenen Fahrzeugen. Mit der wachsenden elektronischen Vernetzung, die neuerdings zu horrenden Preisen auch in Kuba für jedermann verfügbar ist, wird es zudem vermutlich nicht einfacher werden, den Sozialismus ohne Konzessionen beizubehalten.
Über Land
Ausserhalb Havannas Stadtgrenze ist die Landschaft flach und ziemlich eintönig. Zuckerrohr, Mais, ab und zu ein paar Königspalmen, dann Gras und Marabú, wobei es sich bei letzterem um ein Unkraut handelt, welches sich inzwischen auf ca. 1/3 der gesamten urbaren Fläche ausgebreitet hat. Mit den vorhandenen Landwirtschaftswerkzeugen – Ochse und Pflug, eine Hacke oder Machete, vielleicht mal ein alter Traktor– kommt man dem Zeugs unmöglich bei. So verwildert die Landschaft zusehends und in der Folge müssen die Grundnahrungsmittel für viel Geld importiert werden. Zuckerrohr wächst überall, aber die heruntergewirtschafteten Zuckermühlen ohne Ersatzteile können die Ernte oft nicht bewältigen und so wird das Zuckerrohr denn auch mal zum Schweinefutter.
Weiter geht’s nach Trinidad. Sehr schön hergerichtete Altstadt, wo auf dem Kopfsteinpflaster die Pferdekutschen klappern. Und nicht weit vom Meer entfernt, dem karibischen diesmal. Bevor wir weiter gegen Westen fahren, besuchen wir den fantastischen Regenwald im Topes de Collantes. Weit weg von allem lässt sich die herrliche Natur bei einer einfachen Wanderung erleben, bevor wir mit einem authentischen Spanferkel verwöhnt werden. Die anschliessende Rückfahrt auf den robusten russischen Lastwagen über die schlaglochbewehrte ‚Strasse’ unterstützte den Verdauungsprozess…
Was wäre Kuba ohne Tabak?! Im Gebiet von Piñar del Rio soll der absolut weltbeste angebaut werden. Zwar werden die Sämereien staatlich kontrolliert, aber den Anbau überlässt man den privaten Tabakbauern, die sich mit Hingabe ihren Pflanzen widmen. Gemäss Sprichwort ist man als Veguero am besten ‚mit dem Tabak verheiratet’. Das bringt den Aufwand für ein perfektes Ergebnis wohl auf den Punkt. Natürlich habe ich einige Zigarren gekauft, die neben dem Haupthaus in einem Hinterzimmer aus einem Plasticsack angeboten wurden. Mit Originalbinde von Robaina… und zu einem äusserst vorteilhaften Preis. Jeder Kubaner kennt jemanden, der in einer Zigarrenfabrik arbeitet und an die Banderolen kommt, und wie war das doch mit dem erfinderisch sein?
Jedenfalls wurde an Sylvester eine dieser Delikatessen angezündet. Guter Eindruck, guter Geschmack, guter Zug. Dann aber löste sich das Deckblatt teilweise vom Innenleben und die Zigarre brannte einseitig. Selber schuld, hätte ich ja vermuten können dass die nicht so perfekt ist wie diejenigen aus dem offiziellen Tabakladen. Ich habe noch welche übrig. Und werde diese in Abständen entzünden, um mich in den Tabakwolken an die einmalige Kuba-Reise-Erfahrung zurückzuerinnern.
Und übrigens: trotz aller Herausforderungen jeglicher Art würde ich – nach einer entsprechenden Erholungsphase – sofort wieder nach Kuba reisen. I love it!
Literaturtipps zur Reisevorbereitung:
Buenos Dias, Kuba – Reise durch ein Land im Umbruch
Landolf Scherzer, aufbau Verlag, ISBN 978-3-351-03774-1
Kuba fürs Handgepäck
Eva Karnovsky, Unionsverlag, ISBN 978-3-293-20719-6
Susann Bovay Flisch
13. Januar 2019