Erlebnisberichte

ARTIKEL: Entdeckungsgeschichte von Franz-Josef-Land

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22. Dezember 2016 von Peter von Sassen

EXKLUSIVER BEITRAG VON GASTAUTOR PETER VON SASSEN

Ich möchte Ihnen eine aussergewöhnliche Geschichte erzählen. Sie berichtet von der Entdeckung des Franz-Josef-Lands im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Darüber hinaus ist es die Geschichte von zwei kühnen Männern, die mit 22 weiteren Begleitern ihre österreichisch-ungarische Nordpolexpedition weit über das damals bekannte Ende der Welt hinaus in fremde Eis-Wüsten führten und nach zwei abenteuerlichen Jahren unbeschadet und bis auf einen Einzigen gesund wieder nach Hause zurückkehrten.

Bevor ich meine erste Reise dorthin unternahm, hatte ich niemals etwas über dieses fremde Land im hohen Norden gehört. Geschweige denn hätte ich gewusst, dass es Österreicher waren, die diesen nördlichsten Archipel der Welt entdeckt haben. Ernest Shackleton, dem es 1916 in der Antarktis gelungen war, seine Mannschaft aus dem Eis zu retten, wurde dadurch unsterblich – Karl Weyprecht und Julius Payer, die ebenso begabten Kommandanten der Expedition nach Franz-Josef-Land, sind bis heute fast unbekannt geblieben.

Obwohl das Expeditionsschiff – die Admiral Tegetthoff – in Bremerhaven gebaut wurde, begann die eigentliche Reise vom norwegischen Tromsø aus. Ohne grossartige Abschiedsfeier verliessen die 24 Mann, acht Hunde und zwei Bord-Katzen am frühen Morgen des 14. Juli 1872 den Hafen – die Reise ins Unbekannte hatte begonnen.

FRUSTRIERENDER UNTERBRUCH

Nur sechzehn Tage nach dem optimistischen Aufbruch sass das Schiff im unerwartet dichten Eis fest! Bei Windstille und Nebel versuchten die Männer zwar, die dicke Scholle vor dem Bug, welche die Fahrt so abrupt gestoppt hatte, zu zerbrechen. Aber es wollte nicht gelingen. Obwohl Eisanker ausgebracht wurden, an denen Zugseile befestigt waren und andere Besatzungsmitglieder mit dicken Eisenstangen versuchten, die arktische Sperre zu beseitigen. «Fast unmittelbar nach dem Festmachen an jener Scholle drängte das Eis von allen Seiten heran und schloss uns völlig dicht ein», beschrieb Payer die Situation.

Ahnten sie da schon, dass sie fortan verdammt sein würden, steuerlos den Launen des Eises folgen zu müssen? Oder wie Julius Payer schrieb: «… dass alle Erwartungen, mit welchen wir vor wenigen Stunden noch die Tegetthoff nach Norden dampfen sahen, schon jetzt vergangen und vernichtet waren? Dass wir nicht mehr Entdecker waren, sondern unfreiwillige Passagiere des Eises?» Diese Befürchtungen sollten sich bewahrheiten. Das damals stabile und starke Expeditionsschiff lag zu diesem Zeitpunkt auf 76 º 22 ‚ Nord, also noch südlich von Spitzbergen, und würde diese Position niemals wieder aus eigener Kraft verlassen können. Immer kürzer wurden die Tage jetzt, immer glühender ging die Sonne unter, immer dunkler wurden die Nächte und gaben einen Vorgeschmack auf die bevorstehende Winterzeit, die den Männern neue Geduld und noch mehr Beherztheit abverlangte.

Am 16. Februar 1873 kam das Licht zurück. Wie soll man sich die Erleichterung vorstellen; die Gefühle, welche die Männer ergriffen, als bei minus 37º C zum ersten Mal nach 105 Tagen die Sonne wieder zu sehen war!

LAND IN SICHT

Und dann mitten im nächsten Sommer kam der wohl denkwürdigste Tag der gesamten Expedition! Der 30. August 1873 brachte eine Überraschung und die Wende. Es war um die Mittagszeit, als einige der Mannschaft über die Bordwand gelehnt in die flüchtigen Nebel starrten, durch die dann und wann das Sonnenlicht brach. Eine rasch vorüberziehende Dunstwand enthüllte plötzlich fern in Nordost eine Felswand, die sich innerhalb weniger Minuten in machtvollem Lichtzauber zu einem strahlenden Bergpanorama entwickelte! Im ersten Augenblick standen alle völlig perplex und ungläubig da – bis endlich wie eine Eruption der erste Jubelruf erscholl: Land, Land, endlich Land!

Wie die wagemutigen Männer dann in den nächsten Monaten den fremden Archipel bis in den Norden mit Schlitten, die zumeist selbst gezogen wurden, erforschten – diese Abenteuer füllen viele Seiten… und müssen bei anderer Gelegenheit erzählt werden.

 

Wie aber schafften es Weyprecht und Payer, die bereits verloren geglaubte Expedition aus dem Eis zu befreien? Das war eine der grössten menschlichen Glanzleistungen der arktischen Geschichte.

«Unsere persönliche Ausrüstung…» – so schrieb Karl Weyprecht – «…bestand während des Marsches aus zwei Wollhemden, einer wollenen Unterhose, drei Paar Strümpfen, ledernen Wasserstiefeln und Mützen und einem Pelz zum Schlafen…Keinen anderen Luxus gestatteten wir uns als die Mitnahme eines Tabakbeutels pro Kopf».

DEM EIS ENTKOMMEN

Die Zielsetzung war klar und dennoch fast ein wenig naiv: Die Expedition plante, mit drei kleineren Booten fast genau südlich über das Packeis zu ziehen – gegen alle Hindernisse, um ganz direkt das angelegte Lebensmitteldepot bei den Barentsinseln anzupeilen. Mit frischen Vorräten wollte man dann längs der Westküste von Nowaja Semlja hinabfahren, um ein Schiff russischer Lachsfischer oder norwegischer Robbenjäger zu finden, was die Rettung bedeutet hätte.

Was sich hier so leicht erzählen lässt, kam unter den vorherrschenden Verhältnissen einem Himmelfahrtskommando gleich – mit vielen Unbekannten und unter der Voraussetzung unbeschreiblicher Strapazen. Wir sprechen über Entfernungen von über 400 Kilometern nur bis zur Nordspitze von Nowaja Semlja, von denen der grösste Teil wahrscheinlich zu Fuss zurückgelegt werden musste – im Schlepptau die schweren Boote. Und auch die Weiterreise auf dem Wasser unter Segeln konnte leicht noch einmal eine Strecke von 500 Kilometer bedeuten – im offenen Boot, nahezu ungeschützt gegen das stürmische Eismeer und die eisig kalte Feuchtigkeit. Was für ein wagemutiger Plan!

DER MOMENT DES ABSCHIEDS

Am 20. Mai 1874 war es so weit, die Tegetthoff sollte endgültig verlassen und im ewigen Eis der Arktis sich selbst überlassen werden. Ein harter Entschluss, denn kein Seemann verlässt ohne höchste Gefahr sein Schiff – und keine Expedition der Arktis, die das getan hat, hatte diese Entscheidung überlebt. Und so beschreibt Karl Weyprecht diesen Moment auch mit grosser Bewegung: «Monatelang hatten wir täglich in der Furcht gelebt, das Schiff zerquetscht zu sehen. Und doch war es uns zwei Jahre lang eine schützende Heimat. Unter seinem Obdach hatten wir der Gewalt der Eisbewegungen als auch den Stürmen und der Kälte Trotz geboten. Mit all diesen Erinnerungen mussten wir die Admiral Tegetthoff jetzt verlassen…». Der folgende Rückzug aus dem Eis bis an die schiffbare See gehört wohl zu den ungeheuerlichsten Taten, die Menschen jemals vollbracht haben.

Die körperlichen Anstrengungen und die seelische Fähigkeit, durchzuhalten, scheinen unvorstellbar. An manchen Tagen kamen die Männer mit den schweren Booten im Schlepptau nicht mal eine halbe Meile voran. Nahezu bei jedem Schritt sanken die tapfer Ziehenden knietief in den feuchten Schnee oder Eisbrei. Auch die Boote, durch ihre primitiven Kufen sperrig wie ein Kasten, gruben sich bei jedem Meter ein.

Erst ab Mitte Juli konnten die Boote in langsam aufbrechenden Kanälen eingesetzt werden. Oft waren es nur wenige Meter, bis die Schollen sich wieder unvermittelt zusammenschlossen und auch mit langen Stangen nicht wieder vertrieben werden konnten. An manchen Tagen setzte die Expedition ihre Boote dadurch bis zu acht Mal mühsam ein und aus.

Der tagelange Aufenthalt in den Booten wurde auch zur psychischen Belastungsprobe. Endlos schienen die Tage, die einzige Abwechslung war das Herumschauen auf das umgebende Eis und das Gespräch mit den Kameraden. Alles konzentrierte sich auf zwei Dinge: dass sich das Eis endlich zerteilen möge und die nächste Mahlzeit endlich bereitet werden könne. In der Nacht zum 14. August passierte endlich etwas – das Eis öffnete sich ein wenig, aber spürbar. Aufgeregt nutzten die Männer ihre langen Eisstangen, um durch die engen Kanäle Meter für Meter der Umklammerung zu entkommen. Plötzlich stiessen sie auch auf grössere eisfreie Flächen, auf denen sogar die Segel gesetzt werden konnten! Und dann – endlich – war die ruhige Dünung des Meeres zu verspüren.

DIE LETZTE ETAPPE

Wie diese Unerschütterlichen dann mit ihren im Vergleich winzigen Booten über die stürmische Barentssee segelten, ihr Proviantlager durch widriges Wetter verpassten und dennoch voller Zuversicht weiter im offenen Meer an der Westküste der russischen Insel Nowaja Semlja weiterzogen auf der Suche nach Menschen, ist ein weiteres Kapitel einer insgesamt unglaublichen Abenteuergeschichte.

Der 24. August 1874, also über zwei Jahre nach ihrem Aufbruch, war dann endlich der Tag der Rettung. Es war bereits Abend geworden, als die Boote unter Segeln an den Wänden des Caps Britwin dahinglitten – unter kreischenden Seevögeln. Plötzlich: Wie mit einer einzigen Stimme erscholl ein jauchzender Freudenruf aus einem der Boote. Andere Stimmen und Rufe mischten sich ein und stiegen empor: Ein fremdes Boot mit zwei Menschen lag vor den Überlebenden – es waren Russen. Und bevor man die ersten Worte austauschen konnte, waren sie gemeinsam um eine weitere Felsnase gebogen und blickten auf zwei grosse, schlanke Schiffe! Gerettet!

Die ungeheure Erleichterung hielt Payer in diesen Zeilen fest: «Welch eine Erlösung aus langer Not. Sechsundneunzig Tage hatten wir auf dieser Rückreise im Freien zugebracht… Betäubt und mit inniger Dankbarkeit nahmen wir die Wiederkehr ins Leben auf. Mit stillem Behagen starren wir auf die nichtigsten Dinge, und ich glaube, dass sich jeder von uns immer wieder in Gedanken zuflüsterte: ‹Wenn man das in Österreich wüsste!›»

Peter von Sassen ist ein deutscher Fernsehjournalist. Er moderierte im NDR und realisierte mit dem «Nordseereport» zahlreiche spannende Dokumentationen über das Leben der Menschen an der Nordseeküste. 2003 konnte er als einer der Ersten mit seinem TV-Team den magischen Archipel Franz-Josef-Land bereisen. Als Arktisexperte wird er unsere Spezialreise im Juli 2017 nach Franz-Josef-Land begleiten.

© Kontiki Reisen

 

MEHR SEHEN, ANDERS ERLEBEN – PETER VON SASSEN

Reise unseres Spezialisten-Partners Kontiki mit Peter von Sassen nach Franz-Josef-Land.
Persönliche Webseite von Peter von Sassen.