Erlebnisberichte

REKO: Annäherung an Neufundland I

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14. November 2016 von Kurt Schaad

KITCHEN PARTY UND EIN VERITABLER CRASH

Wussten Sie, dass Kanada dreigeteilt ist? Nein? Es gibt den Teil, wo man Englisch spricht, es gibt den französischsprachigen Teil – und es gibt Neufundland. Wenn man von Europa über den Atlantik Richtung Nordamerika fährt, trifft man zuerst auf Neufundland, auf diese merkwürdige Insel, von der die Kanadier sagen, dass sie eigentlich ein Land im Land sei.

Neufundland gehört erst seit 1949 zu Kanada. 52% hatten sich damals in einer Volksbefragung für den Anschluss ausgesprochen, 48% waren dagegen. Die Minderheit wollte wohl ihre Eigenart für sich behalten. Es ist tatsächlich ein spezieller Flecken Land, wenn an einem Restaurant über Mittag das Schild „Closed for lunch“ an der geschlossenen Tür hängt. Oder wenn bei einem Umzug gleich das ganze Haus übers Wasser oder Eis gezogen wird.

Heute ist Neufundland eine Pilgerstätte derjenigen, die schon alles auf der Welt gesehen haben. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird, bis der Nimbus des Geheimtipps verloren geht. Denn es lohnt sich, dieses archaisch schroffe Eiland, das die Einheimischen nur „The Rock“ nennen, zu erkunden und sich für die aussergewöhnlichen Naturschönheiten zu begeistern.

GEOLOGISCHES FEUERWERK

Machen wir aber erst mal einen kleinen Zeitsprung: 470 Millionen Jahre rückwärts. Wir erleben gerade eine Kollision, die es in sich hat. Zwei Kontinentalplatten rasen aufeinander zu und stossen zusammen. Die Wucht des Aufpralls ist so gross, dass ein Stück des glühend heissen Erdmantels an die Erdoberfläche gedrückt wird. Normalerweise wird bei solchen Kollisionen nur die Erdkruste zusammengepresst und am Schluss stehen dann die Alpen oder der Himalaya da. Der Erdmantel hat es nur selten bis ganz nach oben geschafft.

Wie beispielsweise hier in Neufundland. Karg wie eine Marslandschaft mit variablen Rosttönen liegt das Stück Erdmantel da, baum- und pflanzenlos. Natürlich schon längst erkaltet. Die Schwermetalle haben über die Jahrmillionen jegliches Wachstum verhindert. „Tabellands“ nennen die Menschen die Felsformation, weil sie wie ein Tisch aus dem Meer von Wäldern und Pflanzen ragt, deren Ursprünge zum Teil in Europa, zum Teil in Afrika liegen. Wie gesagt, es war eine ordentliche Kollision.

Dieses Paradies für Geologen liegt im Gros Morne-Nationalpark und dieser wurde 1987 zum Weltkulturerbe erklärt. Im Herzen dieser Gegend sind Bettina Lori und Herbert Schumacher zu Hause, 1994 zum ersten Mal aus der Schweiz hierhergekommen. Von ihnen soll später noch die Rede sein. Wenden wir uns aber zuerst jenen zu, die noch ein paar Jahre früher auf dieser sonderbaren Insel gestrandet sind.

VON ITALIENISCHEN ENTDECKERN UND GLÜCKSUCHENDEN FISCHERN

Vor etwa 10’000 Jahren kamen von Asien her die ersten Ureinwohner, die rund 9‘000 Jahre unter sich bleiben konnten. Dann kam Leif Erikson, ein Wikinger, mit Anhang. Allzu lange blieben sie aber nicht. 1492 landete Kolumbus in der Karibik und meinte, in Indien zu sein. Ein anderer Seefahrer, der Italiener Giovanni Caboto, hatte daraufhin eine besondere Idee. Wenn Columbus Indien gefunden hatte, dann müsste man doch weiter nördlich auf China treffen, was die Reisezeit ins Reich der Mitte natürlich um einiges verringern würde. 1497 verliess er England mit einem einzigen Schiff und erreichte 33 Tage später eine Insel, ein neu gefundenes Eiland, Neufundland eben.

Für Caboto war klar, dass er in Asien gelandet war. Sehr wahrscheinlich setzte er seinen Fuss dort an Land, wo sich heute der Leuchtturm von Kap Bonavista befindet. Zurück in England führte Giovanni Caboto ein angenehmes Leben und hiess fortan John Cabot. Mit fünf Schiffen machte er sich 1498 wieder auf, um für die englische Krone und ein paar Kaufleute aus Bristol neues Land zu entdecken – und wurde nie mehr gesehen. Sein Schicksal bleibt ein ungelöstes Rätsel.

Auf Cabot folgten Fischer aus dem Baskenland, England, Irland, Portugal und der Bretagne. Sie fanden eine reiche Ernte in den Fischgründen vor Neufundland. Mit der Zeit entstanden Siedlungen und die Fischerei wurde zum wichtigsten Erwerbszweig der Insel. Händler und Banker gaben in der Hauptstadt St. John’s den Ton an. Sie warben mit Erfolg im Parlament dafür, dass Neufundland auch nach der Gründung von Kanada 1867 weiterhin englische Kronkolonie bleiben sollte. Der finanziell einträgliche Export von Kabeljau nach Grossbritannien war ein triftiger Grund, keine neustaatlichen Experimente zu wagen.

DIE NEUFUNDLÄNDISCHE SEELE

Ein spezieller Menschenschlag begann sich einzurichten. Verheiratet mit dem Meer, dem harten Klima des langen, kalten und düsteren Winters ausgesetzt und vielfach von der Umwelt abgeschnitten, waren die Lebensbedingungen so, wie in vielen Schweizer Bergtälern, als es dort noch keinen Tourismus gab. Es war ein Kampf ums Überleben. Aber die Neufundländer sind hart im Nehmen und erfinderisch, wenn es gilt, dem drohenden Trübsal langer Winternächte zu entgehen. In fast jeder Ortschaft gibt es ein Theater mit einer langen Tradition von Aufführungen im komödiantischen Bereich. Und wenn der Wind heulend um die Ecken pfeift, trifft man sich unter Nachbarn in einer Küche und macht Musik, bis die Instrumente und die Tanzbeine glühen. „Kitchen Parties“ nennen sie diese fröhlichen Zusammenkünfte, die bis heute erhalten geblieben sind.

Der Sinn für eine lebendige Kultur zeigt sich auch darin, dass es überdurchschnittlich viele Musiker und Schauspieler in Kanada gibt, deren Wurzeln neufundländisch sind. Rick Mercer, der berühmteste Comedian des Landes, eine Mischung aus Viktor Giacobbo und Mike Müller als sie noch jung waren, holt mit seinen humoristisch locker bissigen Kommentaren wöchentlich Millionen Kanadier vor die Bildschirme. Es versteht sich von selbst, dass er ein gebürtiger Neufundländer ist.

 

MEHR SEHEN, ANDERS ERLEBEN – NEUFUNDLAND

Neufundland und kommende Reisen mit Kurt Schaad.
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