Erlebnisberichte

BERICHT: Bangladesch Herbst 2014

< Zurück zur Übersicht
cotravel Blog_Bangladesch Reise 2014 Walter Bührer

05. Februar 2015 von Walter Bührer

BANGLADESCH IST ANDERS!

In keiner Stadt, in keinem anderen Land der Welt habe ich in wenigen Stunden so viele Vorurteile korrigieren müssen wie in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs.

Armut – gewiss! Gemessen an uns sind die allermeisten Menschen unsäglich arm. Die Statistik weist Bangladesch als eines der ärmsten Länder der Welt aus. Aber wir treffen selten auf ausgemergelte Personen. Keine Hungerbäuche, keine schreienden Babys. Vor allem die Frauen sind auffallend gut gekleidet. Und: Wo in der Welt findet man so überschäumende Herzlichkeit? Menschen, die spontan stehen bleiben, wenn sie Fremde wie uns erblicken. Die nicht anderes wollen, als uns neugierig zu betrachten. So wie wir sie. Die sich vordrängen, um von uns fotografiert zu werden. Die sogar den Schleier lüften, wenn sie eine Kamera auf sich gerichtet sehen. Die Scheu, fremde Menschen zu fotografieren, weicht bei uns am ersten Tag. Beinahe so oft, wie wir selber die Kamera benützen, werden wir von Einheimischen abgelichtet. Wie viele Male werden wir gebeten, uns vor Handys hinzustellen – mit unbekannten Männern, Frauen, Kindern, ganzen Familien? Und wie viele strahlende Gesichter blicken uns entgegen, wenn wir selber den Auslöser betätigen.

Bettler – natürlich gibt es sie. Viele, zu viele. Doch keiner insistiert. Kein böses Wort, kein unwirscher Blick, wenn nichts abfällt. Allah wird es schon richten. Bangladesch gilt als das am stärksten bevölkerte Land der Erde. An Menschen besteht wahrlich keine Armut; in jeder Stadt, jedem Dorf, entlang jeder Strasse: Menschen, Menschen, Menschen… Doch wir erfahren, dass das Bevölkerungswachstum in den letzten Jahren stark eingedämmt werden konnte. Aus eigener Kraft, ohne staatlichen Zwang, allein dank guter Aufklärung über die Medien. Eine Erfolgsgeschichte, die es verdient, zur Kenntnis genommen zu werden. So wie uns der Optimismus beeindruckt, dass Banglasdesch bis 2015 das Milleniumsziel der Uno zur Halbierung der Armut höchstwahrscheinlich erreichen werde.

Punkto Verkehrsstaus kann Dhaka locker mit jeder anderen Grossstadt der Welt mithalten. Auch die cotravel Gruppe macht diese Erfahrung. Was für uns zu ein (unvermeidliches) Ferienerlebnis ist, bedeutet für Hunderttausende einheimischer Menschen: täglich viele Stunden in überfüllten Bussen zu verbringen. Doch wir haben „Glück“: Zwei Generalstreiks – der eine 24 Stunden, der andere gar 48 – zwingen uns zwar zu Anpassungen in unserem Reiseprogramm. Anderseits sind die Strassen an diesen Tagen unüblich leer, da weder Busse noch Privatautos verkehren (um Steinwürfen oder Brandanschlägen zu entgehen, wie wir erfahren). Grund für die beiden Streiks waren Todesurteile, die gegen extremistische Moslemführer verhängt wurden. Wegen Verbrechen, die sie 1971 bei der Abspaltung Bangladeschs von Pakistan verübt hatten. Die fundamentalistische Jamaat-e-Islami-Partei proklamierte daraufhin zweimal einen Generalstreik. Wir können an diesen Tagen die Städte (Dhaka respektive Rajshahi) nicht verlassen; aber mit Motor- und Velorikschas sind wir mindestens so beweglich wie in einem Bus. Und viel Polizei steht bereit, um allfällige Zwischenfälle im Ansatz zu vereiteln. Wir fühlen uns sicher.

FRAUEN ALS UNTERNEHMERINNEN

Der am zweiten Tag geplante Besuch im Dorf Damrai ausserhalb der Haupstadt muss wegen des Streiks auf das Ende der Reise verschoben werden. Was wir dort erleben: Rund 25 Frauen, die zusammenkommen, um Zinsen und Abzahlungen an die Grameen-Bank zu leisten. So wie jede Woche. Alle haben von der Bank Mikrokredite entgegengenommen. Zum Teil seit Jahren. Sie haben damit kleine Unternehmen aufgebaut. Die älteste der Frauen, Manowara Begun, ist Hauptsprecherin der Kreditnehmerinnen. Die hagere, vielleicht 65 Jahre alte Frau erzählt, dass sie vor 25 Jahren einen ersten Kredit, 2000 Taka (heute rund 25 Dollar), aufgenommen habe, um damit Reis zu kaufen und weiterzuverkaufen. Heute besitzt sie auch einen Anteil an der Reismühle und handelt ausserdem mit Kühen. Sharhida, eine jüngere, stark geschminkte und zu Fettleibigkeit neigende Dame, berichtet, sie habe einen Grameen-Kredit aufgenommen, um sich am Goldgeschäft ihres Mannes zu beteiligen. Alema hat ein lokales Schneidergeschäft aufgebaut. Jüngste Kreditnehmerin ist Roma, die sich vom Grameen-Kredit die Möglichkeit erhofft, mit ihrem Mann in den Viehhandel einsteigen zu können.

Auf unserem Rundgang sehen wir in einzelne Häuser hinein; alle wirken schmuck und sauber. Eine Frau, Amina, zeigt uns eine Biogasanlage, die sie dank einem Kredit von Grameen Energy bauen konnte; mit der erzeugten Elektrizität könne sie kochen und Licht erzeugen. Ihr Haus wirkt ungewöhnlich gross; sie verdient offenbar mit dem Verkauf von Kühen dank Grameen-Krediten gutes Geld. Einer ihrer Söhne lebt in den USA. Nach Meinung eines Grameen-Verantwortlichen könnte ihre Biogasanlage allerdings besser genutzt werden, denn der verwendete Dung tauge noch als Düngemittel.

GESPRÄCH MIT FRIEDENSNOBELPREISTRÄGER MUHAMMAD YUNUS

Was wir im Dorf Damrai erleben, illustriert die Grameen-Idee der Mikrokredite, wie sie uns am zweiten Tag unserer Bangladesch-Reise von Muhammad Yunus erläutert wird. Das von cotravel eingefädelte Gespräch findet trotz des Generalstreiks wie geplant statt. Der frühere Wirtschaftsprofessor ist der Begründer der Grameen-Bank. 2006 wurde ihm und der Bank zu gleichen Teilen der Friedensnobelpreis verliehen.

Die cotravel Gruppe wird in einen modern eingerichteten Empfangssaal im 16. Stock des Grameen-Gebäudes geführt. Nach einer Weile betritt Yunus den Raum. Er ist kleiner, als ich mir ihn von den Bildern her vorgestellt habe; trotz seiner 74 Jahre wirkt er fast jugendlich, sehr präsent und überaus vital. Er begrüsst alle persönlich. In kurzen Zügen umreisst er die Geschichte der Grameen-Bank: Bis 1976 hatten arme Menschen auf dem Land praktisch nur eine Möglichkeit, an Geld heranzukommen, nämlich sich dieses von „loan sharks“, wie sie Yunus umschreibt, zu horrenden Zinsen zu borgen – mit der Gefahr, dadurch alles, was sie noch besassen, am Ende an diese „Kredithaie“ zu verlieren. Aus dieser Erkenntnis heraus habe er 1976 aus der eigenen Tasche das System der Mikrokredite aufzubauen begonnen. Allerdings habe er das Geld nicht als Wohltäter zur Verfügung gestellt, sondern als Unternehmer, der mit dem investierten Kapital ein Resultat bewirken wollte, wie er sofort präzisierend beifügt. Das Geld sollte im Umlauf bleiben. Geld bekam nur, wer zusammen mit mindestens vier Gleichgesinnten eine Geschäftsidee vorweisen konnte – beispielsweise eine Entenfarm aufbauen, eine Weberei gründen oder eine Teestube einrichten – und wer Gewähr bot, das investierte Kapital auch verzinsen und amortisieren zu können.

Frauen standen als mögliche Kreditnehmerinnen von Anfang an im Vordergrund. Yunus verhehlt nicht, dass es anfänglich schwierig war, Frauen für das Projekt zu gewinnen; die herrschende Mentalität habe viele Widerstände geboten. Heute habe die Grameen-Bank 8,5 Millionen Mitglieder in allen Teilen des Landes; 97% seien Frauen. Das Geschäftsvolumen der Bank umfasst rund 2 Milliarden Dollar. Laut Yunus basiert das System der Mikrokredite auf wöchentlichen Zinsleistungen, wie er später auf unsere Nachfrage erklärt. Allerdings müssten die Frauen, die meisten unter ihnen Analphabetinnen, nicht selber zur Bank gehen, sondern sie würden von Angestellten der Grameen-Bank regelmässig besucht. Alles was die Bank erwirtschafte, werde aber laufend in neue Mikrokredite investiert; „Gewinn“ im landläufigen Sinn sei kein Ziel des Unternehmens.

Yunus nennt weitere Aktivitäten der Bank: Aufbau regionaler Kliniken, Energieprojekte, Unterstützung für Fischer, neuerdings eine Zusammenarbeit mit der Firma Danone zur lokalen Herstellung von Joghurt zu günstigen Preisen. Zum Thema Bildung sagt Yunus, die Gewährung von Mikrokrediten sei davon abhängig, ob die Kinder zur Schule geschickt würden; auch zinsfreie Ausbildungsbeiträge würden gewährt. Dadurch wachse eine Generation heran, die nicht mehr auf Mikrokredite angewiesen sei.

Der Optimismus von Yunus wirkt ansteckend. Wo immer die cotravel Gruppe auf ihrer Reise hinkommt: Überall begegnet sie diesem unbedingten Glauben an die Zukunft und an die eigene Fähigkeit, zu einem besseren Bangladesch beitragen zu können. Das Bild eines Landes, das den allermeisten im Ausland nur durch das Elend seiner Textilindustrie, Umweltkatastrophen und Überbevölkerung bekannt ist, verdient es, korrigiert zu werden.

 

MEHR SEHEN, ANDERS ERLEBEN – BANGLADESCH

Nächste cotravel Bangladesch-Reise: November 2015.
Mehr zu Bangladesch: Fotoalbum, Live-Momente inklusive Kundenmeinung und älterer Blogbericht.