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ARTIKEL: Zypern vor der Wiedervereinigung?

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10. Oktober 2016 von Michael Wrase

DIE CHANCE PACKEN

Vielleicht geschieht in den kommenden Monaten, was viele – nicht nur in Zypern – schon fast nicht mehr für möglich gehalten hatten. Nikos Anastasiadis und Mustafa Akıncı führen als Repräsentanten der Republik Zypern respektive des türkischen, international nicht anerkannten Nordteils miteinander intensive Gespräche, die diesmal – nach Scheitern des Annan-Planes 2002 – auf eine für beide Seiten akzeptable Lösung hinarbeiten.

Es folgt der zur Verfügung gestellte Originaltext des Interviews mit Michael Theodoulou, 57, der als Consultant und politischer Analyst für lokale und internationale Medienunternehmen in Nikosia tätig ist. Das Interview erschien leicht gekürzt in diversen Deutsch sprachigen Zeitungen.

 

Frage: Die internationale Euphorie angesichts einer möglichen Wiedervereinigung von Zypern ist gewaltig. Bei ihren griechisch-zyprischen Landsleuten konnte ich dagegen wenig Begeisterung feststellen. Warum eigentlich?
Theodoulou: Es gab schon soviele Versuche, den Konflikt zu lösen. Und alle sind bislang gescheitert. Skepsis ist daher angebracht. Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung sind die Kampagnen der grossen politischen Parteien gegen eine Lösung. Sie verhalten sich ausgesprochen negativ, was natürlich nicht ohne Folgen bleibt. General ist zu sagen, dass die griechischen Zyprer im Grunde keine Veränderungen wollen, Angst davor haben. Angst haben sie auch vor dem unberechenbaren Erdogan sowie den immensen Kosten einer Wiedervereinigung.

Frage: Dennoch soll eine Wiedervereinigung ja „zum Greifen nahe“ sein. Woher kommt dieser Optimismus?
Theodoulou: Noch niemals in der jüngeren Geschichte Zyperns hatten wir Politiker wie (Zyperns Staatspräsident) Anastasiades und (den türkisch-zyprischen Volksgruppenführer) Akinci, die wirklich mit ganzem Herzen auf eine Lösung hinarbeiten. Details ihrer Gespräche werden aber nicht veröffentlicht, um zu verhindern, dass der Plan vor einer Volksabstimmung von den Medien auseinander gepflückt wird. Vier von sechs Verhandlungskapiteln scheinen abgeschlossen zu sein. Die territorialen Fragen sowie die ganzen Sicherheitsaspekte sind noch offen.

Frage: Zum Bespiel?
Theodoulou: Die griechischen Zyprer bestehen auf eine Revision des Unabhängigkeitsvertrages von 1960, in dem den sogenannten Garantiemächten Griechenland, der Türkei und Grossbritanien weitreichende Interventionsmöglichkeiten eingeräumt wurden. Mit den bekannten verheerenden Folgen: 1974 besetzte die türkische Armee den Norden der Insel.

Frage: An Sicherheitsfragen könnten die Gespräche durchaus scheitern?
Theodoulou: Sicherlich. Die Diplomaten im Umfeld der Gespräche sind aber optimistisch. Sie verweisen auf die Pläne des türkischen Präsidenten Erdogan, der sein Land in einen führenden Umschlagplatz für Erdgas machen möchte. Die Erdgasreserven im östlichen Mittelmeer sind bekanntlich gewaltig. Ihre Ausbeutung ist ohne eine politische Lösung des Zypern-Konfliktes aber nicht möglich. Über eine Lösung des Konfliktes würden sich auch US-Präsident Barack Obama und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sehr freuen, deren Amtszeiten im nächsten Jahr zu Ende geht.

Frage: Sie erwähnten Territorien. Welche der 1974 besetzten Gebiete könnten, werden die türkischen Zyprer zurückgeben?
Theodoulou: Die sogenannte Geisterstadt Varoscha am Rande von Famagusta, die 1974 die Touristenhochburg der Insel war. Die griechischen Zyper wünschen zudem die Rückgabe von Morphou im Nordwesten, was von der Gegenseite noch abgelehnt wird. Ein Kompromiss scheint aber möglich zu sein.

Frage: Im Jahr 2004 wurde der Lösungsplan von UN-Generalsekretär Kofi Annan von den griechischen Zyprern in einer Volksabstimmung abgelehnt. Befürchten Sie, dass sich die Geschichte wiederholen könnte?
Theodoulou: Ein wenig schon. Die Berichterstattung des Staatsfernsehens RIK über die Wiedervereinigungsgespräche war damals sehr negativ. Das hat sich bis heute leider nicht geändert. Eines ist jetzt jedoch ganz anders als 2004: Damals hatten wir einen Präsidenten (Papadopoulos), der im Staatsfernsehen mit Tränen in den Augen für eine Ablehnung des sogenannten Annan-Planes warb und damit bekanntlich Erfolg hatte. Fast 80 Prozent der griechischen Zyprer sagten „Ochi“ (Nein), während die Türken dem Plan zustimmten. Der jetzt amtierende Präsident Anastasiades ist dagegen ein grosser Befürworter der Wiedervereinigung und kämpft dafür mit all seiner Kraft.

Frage: Gibt es ein Zeitlimit für die Lösung des Zypern-Konfliktes?
Theodoulou: Offiziell nicht. Aber jeder weiss, dass sich das „Fenster der Gelegenheit“ spätestens Ende Januar 2017 schliessen wird. Bis dahin sollte der Vertrag fertig ausgehandelt sein. Die beiden Seiten haben noch zwei Monate Zeit, um die beiden Volksgruppen von der Wiedervereinigung zu überzeugen.

Frage: Gelingt ihnen das nicht…
Theodoulou: …dann wird Zypern weiterhin ein potentieller Konfliktherd bleiben. Mit allen negativen Konsequenzen. Wir werden keinen Wirtschaftsaufschwung erleben. Die Ausbeutung der Gasfelder wird schwierig, wenn nicht gar unmöglich, weil sich keine Investoren finden werden. Niemand kann sagen, wie sich Erdogan verhalten wird, wenn seine Gasumschlagspläne am politischen Unwillen der griechischen Zyprer scheitern. Überdies wird sich im türkischen Norden die „Taiwanisierung“ fortsetzen, also eine de facto Anerkennung des Rumpfstaates durch zahlreiche, vor allem muslimische Staaten.

 

MEHR SEHEN, ANDERS ERLEBEN – ZYPERN

Herbstreise 2016 nach Zypern mit Michael Wrase.
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